Diagnose Neurodermitis im Kindesalter: Ein langer Leidensweg beginnt
Laura ist ein halbes Jahr alt, als ihre Mutter rötliche Hautstellen auf ihrer Haut entdeckt. Ein Besuch in einer dermatologischen Praxis bringt 1995 Klarheit. Laura hat Neurodermitis. Sie ist damit eines von etwa 1,3 Millionen Kindern in Deutschland , die jährlich von der chronischen Hauterkrankung betroffen sind. Und sie ist damit eine von vielen Betroffenen, die einen langen Leidensweg vor sich haben. Unzählige Besuche bei verschiedenen Ärztinnen und Ärzten, diverse Medikamente, Frust, Scham, Verzweiflung und viele, viele Fragen – die Neurodermitis machte sich langsam, aber sicher in Lauras Leben breit. Und auch heute leidet Laura noch unter ihrer nicht heilbaren Neurodermitis. Es hat sich viel getan, Lauras Umgang mit ihrer Hauterkrankung und die medizinischen Möglichkeiten sind längst nicht mehr dieselben.
Physische und psychische Grenzen
Wer Lauras Weg nachempfinden möchte, muss vorne anfangen. Und wie für viele andere Betroffene fiel auch zu Beginn ihrer Behandlung ein Begriff besonders häufig: Kortison. In Salbenform verabreicht, war Kortison lange Zeit der Behandlungsstandard bei Neurodermitis und zählt auch heute noch zu einer leitliniengerechten Stufentherapie. Über einen zu langen Zeitraum wird eine solche Behandlung allerdings nicht empfohlen, und das Mittel stößt besonders bei schweren Krankheitsverläufen an seine Grenzen. Auch bei Laura verschlimmerte sich die Neurodermitis trotz der topischen Therapie zunehmend.
„Man fühlt sich einfach alleingelassen. Und ich gebe den Ärztinnen und Ärzten gar nicht die Schuld, auf gar keinen Fall! Denn eine Zeit lang waren die Behandlungsmöglichkeiten ja einfach beschränkt“
– Laura
Studien als Hoffnungsschimmer: Ein Wendepunkt in der Behandlung?
Für Laura wendet sich das Blatt vor fünf Jahren, damals ist sie 22 Jahre alt. Ihre Neurodermitis befindet sich auf dem Höhepunkt und sie sucht Rat in einer Hautklinik in Münster. Sie fühlt sich sofort gut aufgehoben, man nimmt sich Zeit. Erstmals erfährt sie von ihren Ärztinnen und Ärzten von der Möglichkeit, an einer Medikamentenstudie teilzunehmen. Zahlreiche Beratungsgespräche später findet sie sich tatsächlich in einer Studie wieder. In dieser wird ein sogenannter Januskinase-Inhibitor in der Behandlung von Neurodermitis untersucht. Und plötzlich geht es Laura besser, sie hat keine Ekzeme mehr.

„Das war der richtige Zeitpunkt. Ich konnte auf eine Hochzeit gehen, ich konnte den Jahreswechsel feiern und einfach mal ganz normal verreisen“
– Laura
Emotionale Achterbahnfahrt: Rückschläge und andere Therapieansätze
Allerdings währt die Freude nicht lange und es folgt eine emotionale Achterbahnfahrt. Die Studie wird vorzeitig beendet. Lauras Zustand verschlechtert sich wieder. Doch unverhofft kündigt ihre Krankenkasse die Übernahme eines neu zugelassenen Biologikums an. Aber wieder ist das Glück nur von kurzer Dauer. Denn bei Laura kommen einige der möglichen Nebenwirkungen zusammen. Sie muss die Therapie absetzen. Wieder ein Dämpfer, wieder ein Schritt zurück. Erst ein Anruf der Hautklinik in Münster lässt sie wieder hoffen. Laura bekommt die Möglichkeit, an einer weiteren Studie teilzunehmen ¬– wieder ein Biologikum. Geht es diesmal zwei Schritte vor? „Ich bin noch immer in der Studie und es geht mir deutlich besser. Vor ungefähr einem Jahr, also vor der Studie, war auch mein Gesicht stark betroffen, aber das wird jetzt durch das neue Medikament unterdrückt. Auf dem Rücken ist es noch sehr stark, aber es juckt nicht mehr, damit kann ich es viel leichter akzeptieren“, erklärt sie. Denn für Laura ist der für Neurodermitis so typische Juckreiz der größte Leidensfaktor ihrer Erkrankung.
„Ich habe immer gedacht, das Optische stört mich am meisten. Aber jetzt, wo es nicht mehr juckt, weiß ich, dass es andersherum ist. Ich habe unterschätzt, was es bedeutet, wenn der Juckreiz ausbleibt. Das Optische kann ich akzeptieren“
– Laura
Angst vor der Zukunft: Sorgen, Stress und Triggerfaktoren

Diese hat Laura im Rahmen der Studie erfahren – für sie eine Atempause von der Neurodermitis. Gut behandelt zu sein hilft ihr die Krankheit besser zu akzeptieren, sie betont aber ausdrücklich:
„Eine Studie ist sicher nicht für jeden etwas. Dafür muss man schon gemacht sein. Mir hilft aber der Gedanke, dass ich das auch für andere tue, weil ich das Medikament auch für sie teste.“
Es schwingt jedoch auch Angst mit: Angst vor der Verschlechterung, Angst vor der Zeit nach der Studie, Angst vor der Zukunft – ein Gefühl, das viele gut behandelte Betroffene kennen.
„Meine größte Sorge ist natürlich, was, wenn die Studie endet oder abgebrochen wird, wie geht es für mich dann weiter? Aber wir haben heute das Glück, dass weitere Medikamente zugelassen sind, es gibt also noch Optionen“, so Laura.
Für sie ist die richtige Behandlung ohnehin nur ein Baustein, um Neurodermitis für sich zu bewältigen. Es geht auch darum, mit der Erkrankung leben zu lernen, und das erfordert die richtige Einstellung.
„Ja, ich weine auch, und ja, mir geht es auch schlecht und ich will diese Erkrankung nicht haben. Aber wenn ich jeden Tag so aufwache, dann wird es mir immer schlecht gehen. Man muss lernen, damit zu leben, hoffen, dass Schübe wieder abflachen, und bis dahin muss man sich mit der Erkrankung arrangieren“, erklärt Laura.
Mit der Erkrankung arrangieren – für sie heißt das nicht nur Kopfarbeit, sondern auch, ihre Neurodermitis nicht unnötig zu provozieren. Sie versucht Triggerfaktoren zu vermeiden – diese spielen bei Neurodermitis eine verstärkende Rolle und sind bei Betroffenen sehr individuell ausgeprägt. Zu den häufigsten Faktoren gehören etwa Lebensmittel, klimatische Bedingungen, Kleidung, Chemikalien, Pollen – und vor allem Stress.
„Ich merke Stress sehr schnell. Wenn ich nervös oder gestresst bin, dann verstärken sich Ekzeme. Ich fange an zu kratzen, zu knibbeln und die Ekzeme brauchen länger, um zu heilen. Das steigert sich dann: Die Neurodermitis macht Stress und der Stress macht Neurodermitis“
– Laura
Berufliche Anpassung und Unterstützung: Freiraum für mehr Lebensqualität
Laura arbeitet als Medizinisch-technische Radiologieassistentin (MTRA) in einer niedergelassenen Praxis. Ihr Stundenpensum hat sie von 40 auf 33 Stunden angepasst – so ist die Arbeitsbelastung mit ihrer Neurodermitis gut vereinbar. Ihr Arbeitgeber und vor allem ihre Kolleginnen und Kollegen unterstützen sie, was für Laura eine große Hilfe darstellt.
„Wenn es mir besonders schlecht ging, durfte ich die Tage etwas ruhiger angehen lassen. Dafür haben die Kolleginnen und Kollegen etwas mehr gearbeitet, wofür ich immer sehr dankbar war.“
– Laura
Achtsamkeit: Strategien für den Alltag
Auch privat braucht Laura gelegentlich eine Auszeit, denn auch Stress fernab der Arbeit kann für ihre Neurodermitis ein Katalysator sein. Aber ihre Freunde sehen es ihr nach, wenn sie das Handy bewusst zur Seite legt und einfach mal „offline“ ist. Sie hat gelernt bewusst „nein“ zu sagen. Die junge Frau nutzt die Zeit dann, um zur Ruhe zu kommen. Sei es bei Spaziergängen an der frischen Luft mit ihrem Freund oder beim Schwimmen. Darüber hinaus hat Laura auch das Meditieren für sich entdeckt:
„Ich mache das mit einer App. Zuerst habe ich gedacht, das ist nichts für mich, da schlafe ich ein. Aber das funktioniert tatsächlich richtig gut und ich kann etwas entspannen.“
Individuelle Wege zur Akzeptanz: „Nur weil es anderen hilft, hilft es mir noch lange nicht.“
Wenn es trotzdem stressig wird oder die Neurodermitis Laura trotz bewusster Pausen alles abverlangt, sind ihre Mutter und ihr Freund wichtige Stützen im Alltag. Zudem hat ihre beste Freundin ebenfalls Neurodermitis und beide tauschen sich regelmäßig aus, auch wenn jede ihre eigenen Methoden hat mit der Neurodermitis umzugehen. Für Laura eine wichtige Voraussetzung, denn „jeder Mensch ist anders, jede Neurodermitis auch“. Daher schätzt sie grundsätzlich gute Ratschläge aus ihrem Umfeld, legt aber auch Wert darauf eigene Erfahrungen zu machen.
„Man kann sich gern Tipps von anderen holen und dann muss man selbst entscheiden, ob diese etwas für einen sind. Man sollte sich auf gar keinen Fall zu irgendetwas überredet fühlen oder den Zwang empfinden, Ratschläge unbedingt umzusetzen, nur weil die von Onkel Karl kommen“, erklärt Laura.
Ein Beispiel sei das Thema Ernährung. Lange Zeit habe sie sich selbst unter enormen Druck gesetzt, auch um dem Vorbild anderer zu folgen. Sie hat viel probiert, viele Nahrungsmittel weggelassen, doch als dies keine Besserung brachte, stellte sie ihre Ernährung noch extremer um. „Ich habe mich ein halbes Jahr oder länger glutenfrei ernährt. Dann kommt: ‚Du musst auch noch weniger Zucker essen und am besten vegan leben.‘“ Da mithalten zu können, war für Laura purer Stress. Heute weiß sie, dass Lebensmittel bei ihr kein entscheidender Faktor sind.
„Und da ist mir wichtig zu sagen: Nur weil das bei anderen so ist, muss das bei mir noch lange nicht so sein. Aber ich bin trotzdem froh, dass ich es ausprobiert habe“
– Laura
(Selbst)Hilfe für andere: Engagement und Austausch in der Community
Laura ist 27 Jahre alt. 26 ½ Jahre davon lebt sie bereits mit Neurodermitis – also fast ihr ganzes Leben lang. Sie hat die Krankheit akzeptiert und möchte dieses Gefühl weitergeben. Seit 2019 engagiert sie sich auch öffentlich zu dem Thema. Auf ihrem Instagram-Kanal @kratzen_bis_es_blutet teilt sie private Einblicke aus ihrem Leben mit Neurodermitis. Sie trifft einen Nerv – und auf viele Gleichgesinnte.

„Das meiste Feedback, das ich bekomme, lautet: ‚Danke, dass du Neurodermitis hast, danke, dass ich nicht alleine bin‘“
– Laura
In deiner Haut steckt niemand geringeres als du selbst und zwar dein ganzes Leben lang. Umso wichtiger ist es, dass du dich darin so wohl wie möglich fühlst – trotz Neurodermitis. Heute gibt es gute Möglichkeiten, dies zu erreichen. Warum sich also mit weniger zufriedengeben? Sprich mit deiner Hautärztin bzw. deinem Hautarzt!
Quellen
- 1 Augustin M, et al. Neurodermitisreport 2021; https://www.tk.de/resource/blob/2099726/179615dc18521208dce8c3c1992e776a/neurodermitisreport-2021-langfassung-data.pdf [zuletzt abgerufen am 02.05.2025].