Frühe Diagnose, viele Fragen
Die ersten hellen Hautstellen fielen Bowie im Urlaub auf – sie war gerade sechs Jahre alt. Kurz darauf begann eine jahrelange Odyssee von Arztbesuchen und Behandlungen. Ihre Eltern probierten alles aus: westliche Medizin, indische Hausmittel, Lichttherapie kombiniert mit Medikamenten bis hin zu alternativen Heilmitteln. Doch je intensiver die Versuche, die Vitiligo-Symptome zu stoppen, desto größer wurde Bowies innerer Rückzug. Bereits in der Grundschule spürte sie die Blicke der anderen Kinder – und die ersten Ausgrenzungen. In ihrer Jugend und an der Universität, versuchte Bowie ihre Flecken unter der Kleidung, wo immer es möglich war zu verstecken. Außerdem fuhr sie weiterhin fort mit verschiedenen Diäten und alternative Therapien. „Meine Eltern wollten immer noch, dass ich jede Möglichkeit ausprobiere, auch wenn das bedeutete, meinen Lebensstil zu kontrollieren, was für mich besonders an der Uni unrealistisch war.“, sagt Bowie. Schokolade, Kaffee, Alkohol – alles wurde von meinen Eltern ausgeschlossen, in der Hoffnung auf Veränderung. Doch der Preis war hoch: soziale Situationen kreierten innerlichen, Druck, was zu dem Gefühl führte, nie gut genug zu sein. Auch das Verhältnis zu ihren Eltern war belastet, vor allem zu ihrer Mutter, denn sie spürte: Ihre Sorgen drehten sich oft mehr um das äußere Erscheinungsbild als um ihr inneres Erleben.
„Meine Eltern wollten helfen, aber sie haben niemals gefragt, was ich wollte und wie ich mich fühle“
– Bowie
Mobbing und Unsicherheit
In ihrer Schulzeit war Bowie unsicher, ob die Hänseleien wegen ihrer Haut oder aufgrund ihrer indischen Herkunft kamen. Beides verschmolz zu einem Gefühl des „Andersseins“. Sie erlebte Rassismus, welcher ebenfalls zu einer eigenen inneren Ablehnung führte aufgrund der sichtbaren weißen Flecken auf ihrem Körper und ihrem Gesicht. Ihr Selbstwertgefühl wurde stark erschüttert. Besonders in Beziehungen fühlte sie sich sehr verletzlich. Immer wieder glaubte sie, dass niemand sie lieben könne, sobald er ihre Hautveränderungen sieht. Ein Bild von makelloser Schönheit – geprägt durch die Sozialen Medien und Filme – verstärkte diese Selbstzweifel täglich. Es dauerte viele Jahre, bis sie begann, die negative Selbstwahrnehmung zu hinterfragen. Erste Schritte dazu machte sie im Studium, als sie die sogenannte Vitiligo Society entdeckte. Die Vitiligo Society ist eine Wohltätigkeitsorganisation aus Großbritannien, welche die neuesten Forschungsergebnisse teilt sowie Betroffene informiert und unterstützt. Dort begegnete sie zum ersten Mal anderen Menschen mit derselben Erkrankung. Das Gefühl, verstanden zu werden, veränderte vieles. „Ich habe begriffen, dass ich nicht allein bin – und dass ich nicht kaputt bin“, erinnert sie sich.
Ein Raum für Heilung
Der entscheidende Wendepunkt kam im Alter von 26 Jahren, als sie sich freiwillig für eine psychotherapeutische Studie meldete. Die kognitive Verhaltenstherapie öffnete einen Raum, in dem sie erstmals über Scham, Wut und Trauer sprechen konnte. In dieser Sitzung brach sie zusammen – Jahre voller Schmerz hatten sich aufgestaut. Die Therapie half ihr zu verstehen, dass es nicht um das Verschwinden der weißen Flecken geht, sondern um einen neuen Umgang mit ihnen. Es war nicht mehr das Ziel, „normal“ auszusehen, sondern authentisch zu leben. Gleichzeitig spürte sie eine neue Kraft in sich: Sie wollte nicht länger schweigen, sich nicht länger verstecken. Die Gespräche, die sie dort führte, gaben ihr die Sprache zurück, mit der sie über ihre Haut sprechen konnte – letztendlich auch mit ihren eigenen Kindern. Besonders ihre Tochter stellte früh Fragen zu ihrem Aussehen. Bowie hat ihr erklärt: „So funktioniert meine Haut eben. Es tut nicht weh, und es ist nicht schlimm – nur anders. Es macht mich zu der, die ich bin.“
Mut zur Sichtbarkeit
Heute lebt Bowie mit ihrer Familie in Deutschland. Ihre Haut hat sich über die Jahre stark verändert: Das meiste Pigment ist verloren, an ihrem Gesicht ist dies besonders sichtbar, wo sie immer noch ihre ursprünglich braune Haut hat. Die Kontraste zu ihrer ethnischen Herkunft beschäftigen Bowie immer noch sehr und sind ein emotionales Thema für sie. Es bleibt die Frage: Wenn sich das Aussehen verändert, verschwindet dann auch ein Teil der kulturellen Identität? Diese Auseinandersetzung begleitet sie bis heute. In der Öffentlichkeit und innerhalb ihres Arbeitsfeldes wird sie oft erkannt – manchmal stellt sie sich die Frage, ob es nur wegen ihres Aussehens ist oder aufgrund ihres Charakters, welcher sich durch ihren Lebensweg gestärkt hat – „idealerweise liegt es an beidem“, sagt Bowie. Doch anders als früher empfindet sie diese Aufmerksamkeit nicht mehr als Bedrohung. Sie hat begonnen, ihre Geschichte zu erzählen – um andere zu stärken, nicht um sich zu rechtfertigen. Der Austausch mit anderen Vitiligo-Betroffenen wurde für sie zur Quelle von Erfüllung.
„Ich habe gelernt, dass ich mein Leben nicht im Verborgenen verbringen muss – und dass Sichtbarkeit, sowie Akzeptanz ein Zeichen von Stärke ist.“
– Bowie
Familie, Rückschläge, Neubeginn
Die Gründung einer Familie brachte Höhen und Tiefen mit sich. Für eine lange Zeit wollte sie weder Kinder haben noch jemals Heiraten. Doch als Bowie 2006 erstmals in das indische Heimatdorf ihrer Eltern reiste –erlebte sie dort einen Moment tiefer Verbundenheit und Zugehörigkeit. „All diese Kinder – sie sahen aus wie ich in klein.“ Gleichzeitig wurde sie aber von der Sorge begleitet, Vitiligo an ihre Kinder weiterzugeben. Bowie hatte Angst, dass auch ihre Kinder mit Scham, Ausgrenzung oder Unsicherheit aufwachsen könnten – ähnlich wie sie damals. Hier erkannte sie aber auch, dass es im Leben mehr gab als nur Arbeit und Beförderungen – ein weiterer Druck, der von ihren Eltern kam. Dadurch fasste sie den Entschluss doch Kinder zu bekommen. Die Sorge begleitete jede Schwangerschaft – ebenso wie die körperlichen Veränderungen: Stress, hormonelle Schwankungen und emotionale Belastungen führten jedes Mal zu einem Fortschreiten der Hautveränderungen und somit graduell weißer. Zwei Fehlgeburten trafen sie tief, und erneut suchte sie therapeutische Unterstützung auf.
Als bei ihrer elf Jahre alten Tochter später tatsächlich eine kleine, unauffällige Vitiligo-Stelle sichtbar wurde, war das ein Moment von Sorge, Panik, Besorgnis und dann Akzeptanz und Liebe. „Ich wünsche mir, dass meine Kinder nie das durchmachen müssen, was ich erlebt habe – aber wenn es so kommt, werde ich stark an ihrer Seite stehen.“ Auch die Beziehung zu ihrem Mann wurde in dieser Zeit auf die Probe gestellt. Eine Eheberatung half, wieder zueinanderzufinden und gestärkt neue Wege als Familie zu beschreiten. Außerdem kehrte Bowie beruflich wieder in kreative Arbeitsfelder zurück und begann, ihre Erfahrungen mit Vitiligo nicht nur persönlich, sondern auch beruflich zu reflektieren. Diese Auseinandersetzung wurde zu einem wichtigen Teil ihrer Identität – als Mutter, Partnerin, Professional und Frau mit einer chronischen, sichtbaren Hauterkrankung.

Bowies Botschaft an andere Betroffene
Bowies Botschaft an andere Betroffene
Heute macht Bowie anderen Mut, frühzeitig Hilfe zu suchen und dem eigenen Kind zu zuhören – sei es durch Therapie, Selbsthilfegruppen oder den Austausch mit Freunden und Familie. Für sie war es entscheidend, eine Therapeutin zu finden, die ihre kulturellen Hintergründe verstand und die Erfahrungen mit einer sichtbaren Erkrankung ernst nahm. „Es geht darum, zu lernen, damit zu leben – und sich nicht davon bestimmen zu lassen. Das ist der eigentliche Wandel“, stellte sie fest. Besonders am Herzen liegt ihr der Umgang mit Kindern mit Vitiligo, die mit dem Druck durch die Elternteile aufwachsen.
„Kinder brauchen Offenheit, nicht Schweigen. Wenn wir es früh normalisieren, können sie mit der Kraft der Selbstakzeptanz aufwachsen.“
– Bowie
Bowies Botschaften für dich:
- Vitiligo macht dich einzigartig – und wunderschön auf deine Weise.
- Versteck dich nicht. Sichtbarkeit schafft Verständnis und Verbindung.
- Bleib positiv. Auch schwierige Phasen gehören zur Reise – aber sie definieren dich nicht
- Hilf anderen, wenn du kannst. Deine Geschichte kann für jemand anderen ein Lichtblick sein.
In deiner Haut steckt niemand geringeres als du selbst und das dein ganzes Leben lang. Umso wichtiger ist es, dass du dich darin so wohl wie möglich fühlst – selbst mit Vitiligo. Heute gibt es gute Möglichkeiten, dies zu erreichen. Sprich mit deiner Hautärztin bzw. deinem Hautarzt und deinen Freunden und deiner Familie!