Wir haben mit Frau Dr. Stefanie Kirsten, Dermatologin im Vogtlandkreis, über die Besonderheiten der Erkrankung bei jungen Menschen, mögliche Behandlungsoptionen und den Alltag mit Vitiligo gesprochen. Seit über zehn Jahren betreut sie Patientinnen und Patienten in einer Region, die stark vom Ärztemangel geprägt ist, und deckt dabei das gesamte Spektrum der Dermatologie ab – von der Kinder- bis zur Erwachsenenmedizin.
Was hat Sie dazu bewegt, sich mit Vitiligo bei Kindern und Jugendlichen zu beschäftigen?
Ich bin in der Dermatologie groß geworden – meine Mutter ist ebenfalls Hautärztin – und wir arbeiten seit über zehn Jahren gemeinsam. Besonders schön ist für mich, dass ich den Menschen aus meiner Heimat etwas zurückgeben kann.
Ich habe selbst Kinder im Pubertätsalter und sehe, wie stark das Thema Körperwahrnehmung von außen beeinflusst wird. Kinder mit Vitiligo sind oft zusätzlichem Druck ausgesetzt, weil ihr Aussehen nicht der „Norm“ entspricht. Ich möchte helfen, diesen Stress zu reduzieren und mehr Verständnis für Hautvielfalt schaffen.
Wie unterscheidet sich Vitiligo bei Kindern und Jugendlichen von der Erkrankung im Erwachsenenalter?
Es gibt zwei typische Verlaufsformen: Wenn Vitiligo vor der Pubertät beginnt, sind meist der Körper sowie Arme und Beine betroffen. Dies ist häufig bei Kindern mit familiärer Vorbelastung der Fall. Tritt die Erkrankung nach der Pubertät auf, sind eher das Gesicht und die Hände betroffen, was für Jugendliche besonders belastend ist.
Ab welchem Alter tritt Vitiligo am häufigsten auf?
Bei vielen Betroffenen zeigen sich die ersten Anzeichen schon in jungen Jahren – oft schon im Vorschulalter. Etwa die Hälfte der von familiärer Veranlagung betroffenen Personen entwickelt Vitiligo vor dem 20. Lebensjahr. Eltern sollten aufmerksam werden, wenn sich klar begrenzte, weiße Flecken bilden, die nicht jucken oder schuppen und sich mit der Zeit weiter ausbreiten.
Wichtig zu wissen: Nicht jede Weißfärbung der Haut ist gleich eine Vitiligo. Es gibt auch andere Ursachen wie zum Beispiel angeborene Pigmentstörungen, sehr helle Haut wie beim Albinismus, eine oberflächliche Pilzerkrankung oder helle Stellen nach Entzündungen. Ganz selten kann auch eine andere Autoimmunerkrankung dahinterstecken. Hier kann eine ärztliche Untersuchung Klarheit schaffen und Unsicherheit nehmen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Kinder und Jugendliche?
Das Wichtigste ist ein konsequenter Sonnenschutz, damit die empfindlichen Stellen nicht verbrennen und der Kontrast zur übrigen Haut geringer bleibt. Kosmetische Abdeckung kann helfen, wenn Kinder oder Jugendliche unter den Flecken leiden. Bei größer werdenden Flecken oder rötlichem Rand kommen Cremes mit Kortison, Vitamin D oder entzündungshemmenden Wirkstoffen infrage. In bestimmten Fällen wird eine Lichttherapie bei Kindern eingesetzt. Dies geschieht nur sehr vorsichtig, um einer Erhöhung des Hautkrebsrisikos vorzubeugen. Es gibt weitere Therapiemöglichkeiten, welche bereits für Jugendliche zugelassen sind und langfristig angewendet werden können. Bitte kontaktiere deine Hautärztin oder deinen Hautarzt, um dich zu den Therapiemöglichkeiten beraten zu lassen.
Hinweis der „Bitte berühren“ Redaktion: Immunsuppressive Systemtherapien sind als alleinige Therapie zur Repigmentierung nicht empfohlen. Eine Therapie mit Anti-TNF-Biologika verdoppelt das Risiko, an einer Vitiligo zu erkranken.1
Was sind aus Ihrer Erfahrung die größten Sorgen und Ängste, die Eltern nach der Diagnose ihres Kindes haben?
Die Eltern wissen meist, dass Vitiligo keine ernsthafte Erkrankung ist, aber die sichtbaren Flecken können zu Stigmatisierung führen. Ihre Sorge gilt vor allem der langsamen, aber stetigen Ausbreitung der Flecken und dem damit verbundenen Risiko für eine mögliche Ausgrenzung ihres Kindes.
Wie können Eltern ihr Kind unterstützen?
Medizinisch können Eltern vor allem durch konsequenten Sonnenschutz helfen. Emotional hilft es, Vitiligo als Besonderheit zu sehen, welche ihr Kind einzigartig macht. Ein Beispiel ist das Model Winnie Harlow, die ihre Hautflecken zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Models mit Vitiligo sind mittlerweile sogar gefragter als viele andere, da jedes Hautmuster einzigartig ist.
Welche Rolle spielt die Familie im Krankheitsverlauf und wie wichtig ist eine offene Kommunikation?
Studien zeigen, dass Eltern oft stark belastet sind und sogenannte „hidden victims“ mit emotionalem Stress und teils beeinträchtigter Lebensqualität sind. Daher ist eine offene Kommunikation innerhalb der Familie und mit Fachpersonen sehr wichtig, denn sie kann Ängste und die Belastung deutlich reduzieren. Alle sollten verstehen, dass Vitiligo weder gefährlich noch ansteckend ist und familiär gehäuft vorkommen kann. Nach der Aufklärung sollte das Thema aber nicht ständig im Mittelpunkt stehen, damit es für das Kind zur Normalität wird.
Was sollten Eltern vermeiden?
Eltern sollten vermeiden, das Kind ständig auf neue Flecken zu untersuchen oder das Thema Vitiligo immer wieder anzusprechen. Das kann das Selbstwertgefühl schwächen. Stattdessen sollten Eltern das Kind als gesund und einzigartig sehen und helfen, sich selbstbewusst zu fühlen. Eine ausgewogene Haltung fördert das Wohlbefinden und die Akzeptanz.
Wie können Eltern ihr Kind stärken, damit es mit möglichen Hänseleien oder Ausgrenzung besser umgehen kann?
Talente und Stärken fördern, sei es in Sport, Kunst oder anderen Interessen – damit das Selbstvertrauen wächst. Humor im Umgang mit Hänseleien üben, etwa mit Sprüchen wie „Das ist mein persönliches Kunstwerk“, „Das sind meine Spezialeffekte – nicht jeder kriegt welche!“ oder „Ich bin ein limitiertes Unikat“.
Welche Rolle spielen Schule und Freundeskreis?
Lehrkräfte sollten gut informiert sein und klare Regeln gegen Hänseleien setzen. Freunde können unterstützen, indem sie das Kind selbstverständlich einbeziehen und Rückhalt geben. Schon kleine alltägliche Gesten wie gemeinsam spielen oder Pausen verbringen machen viel aus.
Gibt es spezielle Programme für Kinder mit Vitiligo, die helfen, Selbstbewusstsein und Resilienz zu fördern?
Ich empfehle den Deutschen Vitiligo-Bund: Dort gibt es Selbsthilfegruppen und die „Vitiligo Kids“-Seite. Bei speziell organisierten Wochenenden können Kinder sich austauschen, gegenseitig unterstützen und ihre Resilienz – also die Fähigkeit, mit Herausforderungen gelassen umzugehen – stärken.
Warum unterstützen Sie „Bitte berühren“?
„Bitte berühren“ gibt mir die Möglichkeit, etwas zu tun, das im stressigen Praxisalltag oft zu kurz kommt, den Kindern mit Vitiligo zu zeigen: Ihr seid gesehen und stark! Daher möchte ich allen Eltern mitgeben: Zuhören – Ermutigen – Umarmen.
Kurz und knapp: Was sollten Eltern von Kindern mit Vitiligo wissen?
- Vitiligo ist medizinisch harmlos, kann aber Selbstwertgefühl und soziale Teilhabe beeinflussen.
- Man kann lernen, gut mit Ausgrenzung oder Hänseleien umzugehen. Jedes Hautmuster ist einzigartig und ein besonderes Merkmal des Kindes.
- Frühzeitige ärztliche Beratung gibt Sicherheit und kann passende Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen.
- Konsequenter Sonnenschutz schützt die Haut und mindert den Kontrast der Flecken.
- Offene Gespräche innerhalb der Familie und mit Lehrkräften helfen, Belastungen zu reduzieren.
- Austausch mit Selbsthilfegruppen bietet Unterstützung und stärkt Resilienz.
Frau Dr. Stefanie Kirsten, vielen Dank für das Gespräch.
In deiner Haut steckt niemand geringeres als du selbst und das dein ganzes Leben lang. Umso wichtiger ist es, dass du dich darin so wohl wie möglich fühlst – trotz Vitiligo. Heute gibt es gute Möglichkeiten, dies zu erreichen. Sprich mit deiner Hautärztin bzw. deinem Hautarzt!
Quellen
- 1 S1 Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der Vitiligo, 2021 AWMF-Registrier-Nr. 013-093, 2021.