Von „A“ wie Antrag bis „Z“ wie Zusatzurlaub
Wer an einer schweren Neurodermitis leidet, weiß nur zu gut, wie schwierig es sein kann, den Alltag zu bewältigen. Die Lebensqualität kann durch die einhergehende Krankheitslast erheblich eingeschränkt werden.1 Selbst die einfachsten Dinge wie Duschen, Einkaufen oder zur Arbeit gehen können schnell zur Belastung werden. Verglichen mit „Nicht-Betroffenen“ haben Menschen mit Neurodermitis daher mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen, wenn es um die gesellschaftliche Teilhabe geht. Hilfe bietet hier ein Schwerbehindertenausweis und damit verbunden ein entsprechender Nachteilsausgleich, der die Chancengleichheit wiederherstellt. „Bitte berühren“ gibt dir hilfreiche Tipps rund um Antrag, Ansprüche und Vergünstigungen.
(Schwer-)Behinderung: Was bedeutet das eigentlich?
Mal ehrlich, wer die Begriffe „behindert“ oder „schwerbehindert“ hört, denkt dabei unweigerlich an stark beeinträchtigte Menschen, kaum jemand an eine Hauterkrankung wie Neurodermitis. Dabei ist das gar nicht so abwegig, wenn man sich einmal die genaue Begriffsdefinition anschaut: Als behindert gelten Menschen in Deutschland laut §2 SGB IX dann, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt.2 Oftmals ist der Begriff der Behinderung oder Schwerbehinderung negativ besetzt. Davon solltest du dich jedoch freimachen. Nachteilsausgleichansprüche wie Steuerfreibeträge, besondere Vergünstigungen oder spezielle Hilfsmittel stehen dir gegebenenfalls rechtmäßig zu. Warum also darauf verzichten?
Welcher Grad der Behinderung ist bei Neurodermitis zu erwarten?
Als schwerbehindert gilt man grundsätzlich ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder höher. Bemessungsgrundlage stellt die Einschränkung der körperlichen, geistigen oder seelischen Funktionen dar. So ergibt eine Neurodermitis mit generalisierten – das bedeutet sich über den ganzen Körper erstreckenden Hauterscheinungen, insbesondere Gesichtsbefall, in der Regel einen GdB von 40.3 Ist mehrmals im Jahr eine klinische oder vergleichbar intensive ambulante Versorgung notwendig, kann dies auch zu einem GdB von 50 führen.4 Mögliche weitere atopische Erkrankungen wie Heuschnupfen oder allergisches Asthma werden übrigens gesondert bewertet. Neurodermitis-Betroffene stehen bei einem GdB ≥ 50 zusätzliche Rechte und Vergünstigungen zu. Diese sollen ihnen dieselbe Teilhabe ermöglichen wie Nicht-Betroffenen. Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist, dass die Ausweisinhaber und -inhaberinnen ihren Wohnsitz in Deutschland haben oder in Deutschland arbeiten.5
Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung: So gelingt’s
Einen Schwerbehindertenausweis musst du bei dem Versorgungsamt oder Bürgerbüro in deiner Stadt beantragen, woraufhin du ein mehrseitiges Formular erhältst.5 . Meist müssen dem ausgefüllten Formular auch ärztliche Gutachten beigefügt werden. Es ist daher ratsam medizinische Briefe und Gutachten sowie Klinikberichte dem Antrag beizufügen.4 Außerdem empfiehlt es sich, dass Betroffene ihre behandelnde Ärztin/ihren behandelnden Arzt zum Zwecke des schnelleren Informationsaustausches im Zusammenhang mit der Feststellung eines GdB bereits frühzeitig von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Häufig liegt den Antragsformularen aber auch eine Erklärung bei, mit der du dem Amt die Erlaubnis erteilst, Kontakt zu Ärztinnen und Ärzten sowie anderen Stellen aufzunehmen, um über deinen Antrag zu entscheiden. Anhand deiner Informationen stellt das Versorgungsamt fest, ob eine Behinderung vorliegt und welchem Grad sie entspricht. Einmal ausgestellt, ist der Schwerbehindertenausweis für höchstens fünf Jahre gültig. Zur Verlängerung muss ein neuer Ausweis beantragt werden. Den neuen Antrag erhält du ebenfalls bei deinem Versorgungsamt oder Bürgerbüro. Wichtig ist, dass du ein aktuelles Lichtbild beilegst. Ändert sich etwas an deinem Gesundheitszustand, solltest du dies auch melden, damit dein GdB neu bewertet und die Angaben auf deinem Ausweis entsprechend angepasst werden können.5
Bewertung deiner Neurodermitis durch das Versorgungsamt
Wie das Versorgungsamt deinen individuellen Fall bewertet, hängt auch davon ab, wie gut deine Vorbereitung war. Sich genügend Zeit zu nehmen, lohnt sich, denn je vollständiger die Liste an Dokumenten ist, umso besser. Relevant ist alles, was dich einschränkt, auch wenn es nichts mit deiner hauptsächlichen Behinderung zu tun hat:
- Art, Ausdehnung, Sitz der Beschwerden (Hände, Gesicht etc.)
- Auswirkungen auf den Allgemeinzustand
- Notwendigkeit stationärer Krankenhausaufenthalte
- Bewegungseinschränkungen (z.B. aufgrund von spannenden, aufgekratzten Hautstellen)
- Begleiterscheinungen (wie Jucken, Brennen, Nässen etc.)
- Probleme bei der Behandlung (Unverträglichkeiten, Resistenzen etc.)
- Narbenbildung
- Seelische Begleiterscheinungen (Depression, Ängste etc.)
- Begleit- und Folgeerkrankungen (Heuschnupfen, allergisches Asthma, Allergien, chronisch entzündliche Darmerkrankungen)
Welche Nachteilsausgleiche sind mit dem Schwerbehindertenausweis verbunden?
Grundsätzlich dient der Schwerbehindertenausweis gegenüber Arbeitgebende, Behörden und Sozialleistungstragende als Nachweis, an den sogenannte Nachteilsausgleiche geknüpft sind. Damit soll eine Chancengleichheit erzielt werden, die es Menschen mit Behinderung ermöglicht, ebenso wie alle anderen am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können.3 Abhängig vom GdB sowie der Art und dem Umfang der Behinderung beinhaltet der Nachteilsausgleich unter anderem Steuererleichterungen – etwa in Form eines Behindertenpauschbetrages oder als Ermäßigung bei der Kfz-Steuer – Mobilitätshilfen, Sonderregelungen beim Parken, Unterstützungsleistungen im Berufs- und Arbeitsleben, einen weitreichenden besonderen Kündigungsschutz sowie zusätzlichen Urlaub. Darüber hinaus erhalten Menschen mit Behinderung häufig Vergünstigungen bei Freizeiteinrichtungen und kulturellen Institutionen.
Schwerbehindertenausweis bei Neurodermitis: Das solltest du wissen
- Hab kein schlechtes Gewissen: Der Nachteilsausgleich ist kein Vorteil, den du dir erschleichst, sondern ein Recht, das dir im Falle einer (Schwer-)Behinderung zusteht. Die Kriterien sind eindeutig, und wer sie erfüllt hat einen gerechtfertigten Anspruch. Das solltest du dir bewusst machen.
- Bereite dich gut vor: Formulare, Atteste, Bescheinigungen – nimm dir genügend Zeit, um alle relevanten Dokumente zu sammeln. Umso leichter kann dein Antrag geprüft werden.
- Schweigepflicht adé: Damit das Versorgungsamt im Zuge der Bearbeitung deines Antrags leichter an Informationen kommt, macht es Sinn, deine behandelnden Ärztin oder deinen behandelnden Arzt von ihrer Schweigepflicht zu entbinden.
- Kopf hoch: Der GdB fällt geringer aus, als du erwartet hast? Kein Grund aufzugeben. Nutze die Möglichkeit eines Widerspruchs. Vielleicht klappt es im zweiten Anlauf.
- Voll im Leben: Dank zahlreicher Erleichterungen und Sonderregelungen ermöglicht dir ein GdB ≥ 50 eine Chancengleichheit. Auch mit einem GdB ≥ 30 ist schon einiges möglich. Bestimmte Nachteilsausgleiche lassen sich durch zusätzliche Bescheinigungen erwirken.
In deiner Haut steckt niemand geringeres als du selbst und zwar dein ganzes Leben lang. Umso wichtiger ist es, dass du dich darin so wohl wie möglich fühlst – trotz Neurodermitis. Heute gibt es gute Möglichkeiten, dies zu erreichen. Warum sich also mit weniger zufriedengeben? Sprich mit deiner Hautärztin bzw. deinem Hautarzt!
Quellen
- 1 AWMFonline. 2023; https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/013-027, [zuletzt abgerufen am 28.05.2025].
- 2 Bundesamt für Justiz; https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_9_2018/__2.html [zuletzt abgerufen am 28.05.2025].
- 3 Deutscher Gewerkschaftsbund; https://www.dgb.de/vorteile-schwerbehindertenausweis-beantragen, [zuletzt abgerufen am 28.05.2025].
- 4 Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind (AAK) e. V. Der „Grad der Behinderung“; https://www.aak.de/ueber-uns/aak-ags-und-projekte/rechtsoziale-hilfen/der-grad-der-behinderung [zuletzt abgerufen am 28.05.2025].
- 5 Familienratgeber. 2025; https://www.familienratgeber.de/rechte-leistungen/schwerbehinderung/schwerbehindertenausweis [zuletzt abgerufen am 28.05.2025].