Von den ersten Symptomen zur Diagnose
Sabine erinnert sich noch genau daran, wie sie am 10. März 2012 erstmals rote Flecken an den Beinen und Oberschenkeln bemerkte. Zunächst dachte sie an eine harmlose Hautreaktion und versuchte die Symptome mit Kortisonsalben aus der Apotheke zu behandeln. Aber trotz Eincremen kamen juckende Stellen auf dem Bauch hinzu. Daraufhin entschloss sich Sabine, umgehend eine Hautärztin in ihrer Nähe zu kontaktieren und erhielt durch die kurzfristige Absage eines anderen Patienten rasch einen Termin. Bereits eine Woche nach Auftreten der ersten Symptome stand die Diagnose fest: chronische Urtikaria. Sabines Hautärztin erkannte die Krankheit sofort, da die Fachärztin bereits in ihrer Ausbildung Patientinnen und Patienten mit Urtikaria behandelt hatte und Mainz – ihr ehemaliger Studienort – ein Spezialzentrum für Urtikaria-Patientinnen und -Patienten ist.
„Ich hatte Glück – meine Hautärztin hat sofort erkannt, dass es eine chronische Urtikaria war.“
– Sabine
Notaufnahme – und die Suche nach Auslösern
Sabine nahm Antihistaminika und nutzte eine verschriebene Creme – doch die Beschwerden blieben weiterhin. Nur wenige Wochen nach ihrer Diagnose landete Sabine in der Notaufnahme. Sie ging von einer starken allergischen Reaktion aus und dachte nur noch, „ich muss ins Krankenhaus!“ Dass die geschwollene Lippe und ihr schwerer Atem, Symptome ihrer Urtikaria gewesen sind, war Sabine zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Dennoch blieb Sabine ruhig und besonnen. „Ich bin wirklich kein Mensch, der direkt in Panik gerät“, sagt sie. Im Krankenhaus erhielt Sabine eine Kortison-Injektion und wurde anschließend nach Hause geschickt. Innerhalb einer Woche wurde sie erneut in die Notaufnahme eingeliefert. Diesmal mit deutlich schwererem Verlauf der Symptome, welche mit Quaddeln, Schwellungen, Schmerzen und starker Atemnot einhergingen. „Es war wirklich die Hölle, und man weiß nicht, woher es kommt“, sagt Sabine.
„Ich kann den Ausbruch von Symptomen nicht vorhersehen – die Urtikaria-Schübe kommen einfach, egal was man macht.“
– Sabine
Sabine versuchte, nach ihrem Krankenhausaufenthalt mögliche Ursachen ihrer Urtikaria herauszufinden und durch unterschiedliche Methoden diese zu eliminieren – von histaminarmer Ernährung und der Vermeidung von Wärme bis hin zu kalten Duschen. Doch die Krankheit blieb unberechenbar.
„Das ist das Grausame an dieser Krankheit – man weiß nicht, woher sie kommt. Manche haben das Glück, es herauszufinden, und andere wiederum werden es nie erfahren“, fasst Sabine zusammen. Einen eindeutigen Auslöser hat sie nicht ausfindig machen können.
Krankheitsalltag mit Urtikaria – Leben mit Juckreiz und psychischer Belastung
Die Krankheit griff tief in Sabines Alltag ein: Angioödeme im Gesicht, Quaddeln am ganzen Körper und vor allem der starke Juckreiz mit den daraus resultierenden schlaflosen Nächten machten ihr schwer zu schaffen. Sabine erinnert sich, dass sie mit Kühlakkus im Bett lag, um die nächtlichen Urtikaria-Beschwerden zu lindern. Sommerhitze war eine Qual – oft verbrachte sie Stunden im kühlen Keller oder eingewickelt in nassen Handtüchern.
„Ich habe mir die Haut buchstäblich runtergekratzt – und wusste nicht, was ich noch tun konnte, um den Juckreiz zu mindern.“
Auch psychisch ist die Belastung durch die Symptome und den ständigen Juckreiz enorm gewesen. In schwierigen Phasen hatte Sabine gezielt nach Dingen gesucht, die ihr helfen, den Fokus weg von der Krankheit zu lenken. Die Fotografie wurde für sie zu einer Zuflucht: Durch das bewusste Beobachten und Festhalten von Motiven kann sie den Juckreiz, die ständige Anspannung – und damit ihre Urtikaria für einige Momente vergessen.
Die Urtikaria-Sprechstunde als Wendepunkt
Im April 2012 überwies ihre Hautärztin sie mit einem „Notfall“-Vermerk direkt in die Uniklinik Mainz, da sich die Symptome trotz Therapie nicht besserten und ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt war. Es folgten daraufhin mehrere Besuche in der Uniklinik mit weiteren Untersuchungen und weiteren Medikamenten, leider ohne eine merkliche Verbesserung ihrer Symptome. Bis Sabine schließlich einige Monate später auf die leitende Oberärztin der Urtikaria-Sprechstunde in der Hautklinik der Uniklinik Mainz traf.
„In der Urtikaria-Sprechstunde hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass ich dort endlich verstanden werde.“
Zunächst wurde eine neue Behandlungsoption ausprobiert, welche jedoch aufgrund beginnender Nebenwirkungen rasch abgesetzt wurde. Kurz darauf erhielt Sabine die Möglichkeit, an einer klinischen Studie für eine damals noch in der Erprobung befindlichen Behandlung teilzunehmen. Die Therapie begann mit einer geringen Dosis und wurde über mehrere Monate hinweg schrittweise angepasst. Die Anpassung der Behandlung erfolgte in enger Absprache mit der behandelnden Ärztin und nach ausführlicher Aufklärung. Diese Behandlung lief über einen Zeitraum von rund zwei Jahren und führte zu einer besseren Kontrolle. Trotzdem war Sabine nicht vollkommen frei von Symptomen.
Rückschläge und Therapieumstellungen
Einen Rückschlag erfuhr Sabine 2014, als sie nichtsahnend ein Eis aß. Daraufhin erlitt sie einen schweren Schub – ohne je zuvor auf Kälte reagiert zu haben. Ihr Gesicht schwoll so stark an, dass sie fast keine Luft bekam. Dieses Erlebnis zeigte ihr, wie unberechenbar eine chronische Urtikaria für Betroffene sein kann – selbst in Phasen, in denen die Beschwerden unter Kontrolle sein können.
Von Patientin zur Aufklärerin
Zu Beginn ihrer Krankheitsgeschichte fand Sabine nur wenig verlässliche Informationen und Austausch mit Betroffenen. Seit 2013 kümmerte sie sich um eine Facebook-Gruppe, nannte sie „Urtikaria-Helden“ und baute sie zu einer Community mit ca. 4.000 Mitgliedern aus – mit Fokus auf Austausch und Aufklärung. Mit Unterstützung von Prof. Dr. Staubach-Renz und Prof. Dr. Marcus Maurer gründete sie 2021 in Zusammenarbeit mit Kathrin Kühne die Website www.Urtikaria-Helden.de, welche Informationen für Betroffene anbietet. Im selben Jahr wurde gemeinsam mit den Professoren der gemeinnützige Verein Urtikaria-Helden e.V. gegründet, aus dem 2023 die gemeinnützige Patientenorganisation Urtikaria-Helden gUG hervorging. Sabine vernetzt sich aktiv mit Expertinnen und Experten und unterstützt die Vermittlung von Patientinnen und Patienten an Spezialzentren. Viele Ratschläge und Informationen bekommt man kostenlos auf der Homepage der Urtikaria-Helden bereitgestellt: https://urtikaria-helden.de/
Sabines Leben heute: Quaddel-frei und ausgezeichnet
Seit mehreren Jahren hat Sabine keine Quaddeln mehr. Sie weiß jedoch, dass die Krankheit jederzeit zurückkehren kann und mahnt: „Die Urtikaria schläft nur – sie kann jederzeit wiederkommen.“ Ihre Energie steckt sie heute in die Selbsthilfegruppe „Urtikaria-Helden“ und die damit verbundene Aufklärungsarbeit, Vernetzung und Unterstützung anderer Betroffener. Sie organisiert Vorträge, Messestände und setzt sich auch politisch für eine bessere Versorgung von Menschen mit Urtikaria ein. Für ihren unermüdlichen Einsatz und ihr langjähriges ehrenamtliches Engagement erhielt Sabine im Juli 2025 die Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz – eine Anerkennung, welche die gebürtige Koblenzerin besonders stolz macht. „Extrem wichtig ist es, nicht aufzugeben, einfach dranzubleiben und auch immer positiv zu denken, das ist wirklich ganz, ganz wichtig“, appelliert Sabine abschließend an alle Betroffenen von Urtikaria.
„Mir persönlich ist wichtig, dass die Urtikaria-Betroffenen schneller an Termine kommen und die Ärztinnen und Ärzte mehr Zeit für die Behandlung zur Verfügung haben und für die Krankheit sensibilisiert werden!“
Sabine wünscht sich, dass Urtikaria-Patientinnen und -Patienten ernst genommen werden, damit eine schnelle Diagnose und geeignete Therapie zugänglicher werden und sich Betroffene mit ihrer Erkrankung nicht im Stich gelassen fühlen.
Sabines Rat:
- Sucht euch Ärztinnen und Ärzte, die euch ernst nehmen – am besten in spezialisierten Urtikaria-Zentren, welche Teil des UCARE-Netzwerkes sind
- Gib nicht auf, auch wenn die Schübe oft unberechenbar sind
- Bezieh dein Umfeld ein, damit Verständnis entsteht
- Hol dir Informationen aus seriösen Quellen
Urtikaria-Helden und ihr Wahlspruch: „Helden sind nicht unfehlbar, aber sie zeigen Mut, Entschlossenheit und Tapferkeit, wenn es darauf ankommt.“
In deiner Haut steckt niemand geringeres als du selbst und das dein ganzes Leben lang. Umso wichtiger ist es, dass du dich darin so wohl wie möglich fühlst – trotz Urtikaria. Heute gibt es gute Möglichkeiten, dies zu erreichen. Sprich mit deiner Hautärztin bzw. deinem Hautarzt!